Mansarde ausbauen: Liegt das Schnäppchen unterm Dach?

Von Anna-Lena Niemann l FAZ

Zeitungsartikel: Liegt das Schnäppchen unterm Dach?, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2024

Individuell wohnen, mit Weitblick und in der besten Lage der Stadt: Wer ein unausgebautes Dachgeschoss kauft, wird mit günstigen Einstiegspreisen und der Aussicht auf einen zukünftigen Penthouse-Traum gelockt. Doch die Hürden sind enorm.

Da steht es im Immobilienportal, schwarz auf weiß, was doch kaum noch zu glauben ist: 80 Quadratmeter in einer der begehrtesten Lagen Frankfurts für 299.000 Euro Verhandlungsbasis. Einige Hundert Kilometer weiter gibt es in der Landeshauptstadt Hannover gleich zwei Wohnungen im Doppelpack, 124 Quadratmeter, für weniger als 190.000 Euro. Und in Berlin-Friedrichshain warten in einem Prachtaltbau 250 Quadratmeter auf einen neuen Eigentümer. Was die Verkäufer dafür gerne hätten? 399.000 Euro. Der Schnäppchenjäger reibt sich die Augen.

Die Preise liegen so weit unter dem, was in den Metropolen an vergleichbaren Flächen im Angebot ist, dass es dafür einen Grund geben muss. Den gibt es. Offiziell heißt er „Dachgeschoss mit Potential“ und übersetzt in etwa das:

Wer genug Ideen und Ressourcen mitbringt, kann sich aus einem nackten Dachstuhl eine Traumwohnung mit Weitblick nach eigenen Vorstellungen entwerfen.

Dass diese Dachrohlinge dazu oft über den Wohnblocks der gefragtesten Viertel aufragen, macht das Angebot für viele noch verlockender. Zumindest ist das auf den ersten Blick so. Denn bis aus dem Raum zwischen Sparren und Schrägen ein Penthouse-Traum werden kann, ist es ein ziemlich weiter Weg.

Perfekter Ort für urbanes Lebensgefühl

Das Wohnen unterm Dach hat über die Jahrzehnte eine erstaunliche Karriere hingelegt. War die Mansardenwohnung früher nur einfachste Bleibe für Dienstboten und eine prekär beschäftigte Arbeiterschaft, hatte sich dieser Wohntyp gerade nach der Jahrtausendwende zum begehrten Zuhause entwickelt. Urbanes Lebensgefühl lässt sich nirgendwo so gut feiern wie von der eigenen Dachterrasse aus: ohne trampelnde Nachbarn im oberen Stock und weit weg vom Lärm des Straßenraums.

Doch der Aufstieg von der Dienstbotenkammer zum Statussymbol ist nicht alles. Als der Ruf nach mehr Neubau immer lauter wurde, avancierte das Dachgeschoss zum Hoffnungsträger im Kampf gegen den Wohnungsmangel, klimafreundlich noch dazu. Planer entdeckten in der Dachlandschaft eine Wohnraumreserve, für die keine grünen Flächen mehr versiegelt werden mussten.

Eine viel beachtete Studie der TU Darmstadt rechnete 2019 vor, dass durch Aufstockungen und Ausbauten auf ältere Wohngebäude rund 1,1 Millionen neue Wohnungen entstehen könnten. Auch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung geht von erheblichen Potentialen aus, die unter Deutschlands Dächern schlummern. In einer umfassenden Publikation dazu warnten die Wissenschaftler aber auch: Das Potential zu heben ist teuer. Wenn, dann wachse das Angebot vor allem im mittleren und höheren Preissegment.

Hitzesommer schmälern die Nachfrage

Der große Boom, das lässt sich einige Jahre nach den Veröffentlichungen feststellen, ist bisher ausgeblieben. Nicht nur die vermeintlichen Schnäppchenpreise deuten an, dass es mit der Nachfrage nicht wie von selbst läuft – trotz Toplagen. Einige Projektentwickler und Makler werben in den Portalen für ihre Dachgeschossrohlinge schon mit Abschlägen und Reduzierungen im zweistelligen Prozentbereich. Warum läuft es so schleppend?

Jede Meldung über einen weiteren Hitzesommer schmälert für viele die Lust auf eine Bleibe, in der sich die Sommer auch früher schon nach Sauna oder Dörrofen angefühlt haben. Doch ein Blick in ein Dachgeschoss in Berlin-Neukölln gibt weitere Antworten. Noch sind die 360 Quadratmeter Grundfläche nicht ausgebaut, aus denen ein privater Bauherr drei Wohnungen für sich und seine Familie machen möchte. Eine Baugenehmigung gibt es zwar schon, doch mit dieser kann er wenig anfangen. Ein Projektentwickler hatte sie beschafft, weil sich die Rohlinge so lukrativer verkaufen lassen. Nur klafft zwischen dem, was sich ein Entwickler für die Etage ausmalt – loftartige Räume, wenige große Zimmer, riesige Luxusbäder –, und dem, was etwa eine Familie braucht, oft eine ziemliche Lücke. Ist der Kaufvertrag unterschrieben, geht für die Bauherren der Genehmigungsprozess deshalb wieder von vorne los. Diesmal nach ihren Vorstellungen.

Diese Diskrepanz ist die erste Hürde, erläutert Stefanie Hünitzsch. Die Architektin und Cheffin des Büros ARCH x TECTURE verantwortet den Ausbau in Neukölln. Mit Berliner Altbaudächern kennt sie sich aus. Die baurechtlichen Tücken seien trotzdem jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung. Oft führt ein Dachgeschossausbau dazu, dass sich die Gebäudeklasse ändert. Selbst wenn die Etagen zu alten Gründerzeitbauten gehören – wer in einen zuvor ungenutzten Dachstuhl einziehen will, muss das Projekt baurechtlich wie einen Neubau angehen.

„Bei vielen Dachgeschossausbauten bekommt man ein Problem mit dem zweiten Rettungsweg“,

sagt die Architektin, so wie ihn etwa die Berliner Landesbauordnung in vielen Fällen vorschreibt. Das könne zum K.-o.-Kriterium werden, zum Beispiel wenn das Dach eines Hinterhauses ausgebaut werden soll, das Gebäude aber nicht mit dem Vorderhaus verbunden ist. Manchmal reichen schon Bäume vorm Haus aus, um der Feuerwehr und ihrer Rettungsleiter den Zugang zu versperren.

Auch für das Neuköllner Dachgeschoss muss Hünitzsch den Behörden eine Planung für einen zweiten Rettungsweg vorlegen. Hier soll er außen über das Dach konstruiert werden und zu einem anderen Treppenhaus führen. Als inoffizieller Ausguck darf der Weg freilich nicht genutzt werden. So wie überhaupt die begehrte Aufdachterrasse in Neukölln nicht erlaubt sei, im benachbarten Friedrichshain hingegen schon. Denkmalschutz und Milieuschutz, der je nach Bezirk mit ganz anderen Auflagen bedacht sein kann, machen den Ausbau kompliziert, wie die Planerin aus Erfahrung weiß.

Weil sich der Auftraggeber größere Gauben gewünscht hat, dürfen außerdem die Nachbarn mitreden. Denn mit Gauben sowie Balkon- und Terrassengeländer verändern sich die Abstandsflächen über das zulässige Maß. In diesem Fall müssen die Nachbarn zustimmen. Für das Wohngefühl aber sind Gauben nicht zu vernachlässigen. Gerade wenn sich das Dach relativ flach in den Raum neigt, schaffen sie ein großzügigeres Raumgefühl und bringen zusätzlich Tageslicht ins Innere.

„Als Schnäppchen würde ich es nicht bezeichnen“

Je nach Dachneigung verändert sich zudem, wie viele von den in den Annoncen angepriesenen Quadratmetern wirklich zum Wohnen übrig bleiben.

„Unser Rohling in Neukölln hat 360 Quadratmeter Grundfläche. Wenn wir ihn ausgebaut haben, bleiben aber nur 220 Quadratmeter Wohnfläche übrig, auch weil wir hier eine relativ flache Dachneigung haben“,

erklärt Hünitzsch. Nur wo die Decke mehr als zwei Meter hoch ist, kann man die Fläche zu 100 Prozent anrechnen.

Die Architektin ist von Dachgeschossausbauten trotzdem überzeugt. Ihre Auftraggeber schätzen die zentralen Lagen, dass sie es mit einer Baustelle zu tun haben, auf der Wasser, Strom oder Gas schon erschlossen sind. Hinzu kommt, dass Bauherren trotz strenger Regeln immer noch viele Freiheiten haben, um die höchste Lage im Haus in ein individuelles Zuhause zu verwandeln. Man dürfe nur nicht erwarten, mit dem Kauf eines Rohlings Geld sparen zu können. 

„Als Schnäppchen würde ich es nicht bezeichnen“, sagt sie. „Es kommen nicht nur Baukosten auf die Käufer zu, sondern auch viele Planungskosten. Da sind neben den Architekten auch Energieberater, Brandschutzgutachter, Statiker oder Vermesser nötig.“ 

Rechne man all diese Kosten ein, müssten sich Bauherren auf bis zu 5500 Euro je Quadratmeter Wohnfläche einstellen. Das sind Neubaukosten.

Zwei Jahre können vergehen, bis der Weg vom Notartermin bis zum Einzug geschafft ist. Kerstin Huth, Vorsitzende des Immobilienverbandes IVD Berlin-Brandenburg, sagt, dass viele Vorschriften hinderlich seien. „Potentielle Flächen werden nicht ausgebaut, da entweder die baulichen Auflagen zu hoch sind oder die Kosten, zum Beispiel wenn die Dachform wesentlich geändert werden muss.“ Immer mehr Bundesländer stellen zwar in Aussicht, Dachgeschossausbauten künftig zu vereinfachen. Was das konkret bedeute, bleibe aber abzuwarten, sagt Huth.

Ein Aufzug kann schnell 200.000 Euro kosten

Böse Überraschungen hält zudem nicht nur das Baurecht bereit. Gerade in Altbauten können Hausschwamm und mit alten Holzschutzmitteln belastete Balken lauern. Dann kann es nötig sein, den Dachstuhl komplett zu erneuern. Ohnehin müssen bei einem Ausbau die meisten Sparren verstärkt werden, weil alles, was heutzutage an Dämmmaterial und Technik gebraucht wird, sonst gar nicht in den Dachwänden unterkommen kann. Sogenannte Kühldecken etwa. In Schleifen fließt dabei ein Kühlmittel durch die Decken, das im Sommer für angenehme Temperaturen sorgt. Standard ist es inzwischen zudem, der obersten Etage eine eigene Luftwärmepumpe aufs Dach zu setzen, die die Wohnung im Winter heizt und im Sommer kühlt.

Eine weitere, große Investition ist der Fahrstuhl. „Nach den Erfahrungen von Immobilienverwaltungen ist der Einbau eines Aufzugs das A und O“, sagt Verbandsfrau Huth. Zwischen 150.000 und 200.000 Euro kann das kosten – wenn er denn genehmigt wird. Eigentlich müssten Dachgeschosskäufer die Summe nicht allein aufbringen, weil die gesamte Hausgemeinschaft von der Technik profitieren und sich zur Installation entschließen kann. Nur könnten sich die Eigentümer in der Praxis genau darauf eben oft nicht einigen. Wer auf den Aufzug verzichtet, wird vielleicht immerhin mit dem Gefühl belohnt, sich den teuren Weitblick mit jedem Gang verdient zu haben.

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